- Konflikt: Feindbilder, Gewaltbereitschaft, Gewaltarten
- Konflikt: Feindbilder, Gewaltbereitschaft, GewaltartenIn jeder Zeit existieren andere Bedrohungsvorstellungen und werden Konflikte anders wahrgenommen. Diese können real oder irreal sein, sie strukturieren auf jeden Fall den Blick auf die gesellschaftliche Realität. Welche Bedrohungswahrnehmungen jeweils vorherrschen, hängt von den spezifischen Zeitumständen sowie vom Typus und der Art der vorherrschenden Konflikte ab, die dann häufig in die Zukunft fortgeschrieben werden. Unsere Wahrnehmung der vorherrschenden Konflikte weitet sich manchmal aus und mündet dann entweder in Bedrohungssyndromen, die eine aktive Abwehr erforderlich zu machen scheinen, oder führt zu einem besonderen Krisenbewusstsein, etwa weil sich die bekannte Welt schnell verändert oder weil die Gefahr einer Konflikteskalation mit unabsehbaren Folgen allgegenwärtig ist.Wie ein Krisenbewusstsein entstehtDie vorherrschenden Konfliktwahrnehmungen des 20. Jahrhunderts sind durchaus unterschiedlich gewesen: Die Zeit bis zum Ersten Weltkrieg war durch Rivalitätsdenken der imperialistischen Mächte geprägt. Dieses Rivalitäts- und Konkurrenzdenken eskalierte schließlich im Ersten Weltkrieg, der in der Wahrnehmung seiner Zeit auch als ein Kampf von Kultur versus Zivilisation verstanden wurde: Die zivilisierten frankophonen und anglophonen Staaten kämpften gegen die Vorherrschaftsansprüche der deutschen Kultur und damit auch für bestimmte Ordnungs- und Wertvorstellungen. Seit dem Ersten Weltkrieg hat sich die Konfliktwahrnehmung beträchtlich verschoben. Mit dem Sieg der Bolschewiki in Russland 1917 prägte der damals noch nicht so genannte Ost-West-Gegensatz die Konfliktwahrnehmung.Wird die Zeit nach 1945 etwas genauer unter die Lupe genommen, dann bildet der Ost-West-Gegensatz nur den Hintergrund für zwar unterschiedliche, aber sehr viel konkretere und bedrohlichere Konfliktszenarios. Die Spaltung der Welt in einen westlichen und in einen östlichen Block und die damit einhergehende weltpolitische Polarisierung brachte über das Wettrüsten die reale Gefahr einer atomaren Selbstvernichtung der Menschheit mit sich. Mehrmals stand die Welt — wie wir heute wissen — am Rand einer atomaren Katastrophe.Mit dem Ende des Ost-West-Gegensatzes, dem Zusammenbrechen alter, ideologischer Feindbilder und einer Annäherung und Verständigung der ehemaligen Kontrahenten gingen der Welt jedoch die Konflikte nicht aus. Im Gegenteil: Jetzt wurde deutlich, dass der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts alles dominierende Ost-West-Gegensatz eine Vielzahl anderer, keineswegs weniger gefährlicher Konfliktformationen nur überdeckt und wie in einem unter Hochdruck stehenden Topf unter dessen Deckel gehalten hatte.Neue und alte FeindbilderMit dem Ende des Ost-West-Gegensatzes ist die Welt also nicht nur nicht friedlicher geworden, es haben sich sogar neue Feindbilder und neue Konfliktszenarios durchgesetzt. Erstere sind heute nicht mehr durch das kommunistische »Reich des Bösen« charakterisiert, sondern für viele durch die Wahrnehmung einer diffusen islamischen Bedrohung. Zudem ist an die Stelle zentraler Feinde eine Vielzahl unklarer Bedrohungen getreten, die an mehreren Fronten zugleich für Unsicherheit sorgen.Ein zentrales Bedrohungsszenario in unserer Welt ist die Vorstellung, auch bei uns könnten bürgerkriegsähnliche Zustände Einzug halten, die uns, ähnlich wie die Zustände in manchen Ländern der Dritten Welt, vielfach unbegreiflich und rätselhaft erscheinen. Solche Vorstellungen finden in Anbetracht von sinnlos erscheinenden Terroranschlägen und blinder Gewaltausübung gegenüber Unschuldigen durchaus konkrete Anknüpfungspunkte in den europäischen und nordamerikanischen Metropolen.Konflikt, Gewalt und KriegKonflikt, Gewalt und Krieg haben die Menschheit in ihrer langen Geschichte bisher immer begleitet. In der historischen Rückschau gibt es nur wenige Perioden und Zeitabschnitte in der Menschheitsgeschichte, die als überwiegend friedlich bezeichnet werden können. Wenn auch Konflikte, Gewalt und Kriege einerseits allgegenwärtige Erscheinungen in der Gattungsgeschichte der Menschen waren, und sie andererseits so etwas wie anthropologische Konstanten des menschlichen Daseins darstellen, so sind doch die menschlichen und wissenschaftlichen Vorstellungen über die Zusammenhänge von Konflikt, Gewalt und Krieg sowie über die Möglichkeiten eines friedlichen Zusammenlebens recht unterschiedlich.Perspektiven auf den ZivilisationsprozessAlle westlichen Gesellschaften hängen der Vorstellung an, die Menschheit befinde sich in einem mehr oder weniger permanenten Zivilisationsprozess. Dieser nimmt in seinen evolutions- und modernisierungstheoretischen Varianten von einem imaginierten gewaltsamen Urzustand seinen Ausgang und entwickelt sich dann über bestimmte Zwischenstufen hin zur modernen Zivilisation. In dieser Perspektive hat die Geschichte der frühen Neuzeit und der Moderne viele Gesichter: Sie erscheint als die Geschichte des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, der zunehmenden Beherrschung der äußeren und inneren Natur, der Aufklärung und Rationalisierung, auch der Zivilisierung der zwischenmenschlichen Beziehungen und der Ächtung und effektiven Einhegung von Gewalt im Rahmen der Bildung moderner Nationalstaaten.Auffällig an dieser Perspektive ist der Blick auf die Gewalt: Im Grunde stellt sie ein temporäres Phänomen dar, das im Lauf der Entwicklung, die in diesem Sinn auch als Fortschritt gedeutet wird, in ihrer Bedeutung und in ihrem Ausmaß zurückgeht. Die verbleibende Gewalt kann durch das durchgesetzte Gewaltmonopol des Staats effektiv eingeschränkt werden. Krieg, Terror und Gewalt sind unter diesem Blickwinkel nichts weiter als bedauerliche, zeitweilige Entgleisungen und befristete Rückfälle innerhalb des großen, weithin ungebrochenen Entwicklungstrends hin zu Monopolisierung von Gewalt, zu perfektionierten Formen der Triebkontrolle und zur Zähmung der Grausamkeit. Gewalt wird nur noch wahrgenommen als eine kurzfristige Unterbrechung des Zivilisationsprozesses, sie wird an die Ränder der Gesellschaft verbannt, sie wird in fremde Gesellschaften verlagert oder einfach pathologisiert. Die klassischen Modernisierungs- und Zivilisationstheoretiker schließen zwar nicht die Augen vor der Zerbrechlichkeit der Zivilisation und den dabei entstehenden psychischen und materiellen Kosten, betonen aber demgegenüber die Gewinne an formaler Rationalität, Sicherheit und persönlicher Autonomie.Die Gewaltbereitschaft des MenschenDiesem »Traum von der gewaltfreien Moderne« stellen andere Autoren den Gewaltcharakter und die Destruktivitätspotenziale in der Geschichte der frühen Neuzeit und der Moderne gegenüber. Gewalttätige Konflikte und Kriege haben in ihrer Perspektive seit dem Beginn der europäischen frühen Neuzeit stetig zugenommen und ein Ausmaß an Brutalität gewonnen, das dann in der Moderne eskaliert ist. Gerade das 20. Jahrhundert ragt als eine Epoche von Barbareien und als Zeitalter der Extreme aus der langfristigen historischen Entwicklung heraus: Zwei Weltkriege, wiederholter Völkermord und gewalttätige politische Zwangssysteme summieren sich zu einem hohen Maß an Gewalt auf. Für die Verfechter dieser Position bleibt es ein bemerkenswerter Widerspruch, dass die Neuzeit als jene geschichtliche Phase, in der der moderne Zivilisationsprozess deutlichere Konturen annahm, zugleich ein extremes Ausmaß an Vernichtung und Inhumanität mit sich brachte.Diese Position in Bezug auf das Verhältnis von Zivilisation und Gewalt ist also der ersten im Prinzip entgegengesetzt. Gewalt zu entgrenzen und außerordentliche Destruktivitätspotenziale freizusetzen, beruht demzufolge nicht auf den vermeintlichen Defiziten und der Unvollkommenheit der Zivilisation und einer im Grunde noch unvollendeten Moderne, sondern hat ihre Gründe ganz im Gegenteil in ihrem überwältigenden Erfolg. Technik und Wissenschaft, instrumentelle Rationalität und Zweck-Mittel-Kalküle, Weltbeherrschung und Unterwerfung der äußeren und inneren Natur des Menschen, unpersönliche, bürokratische Herrschaft und weitgehend gelungene Affektkontrolle stellen nach Ansicht dieser Autoren gerade die notwendigen Voraussetzungen für die Eruption von Gewalt dar.Und was so im Großen gilt, lässt sich auch im Kleinen nachzeichnen: Mit der Individualisierung und den Differenzierungsprozessen moderner Gesellschaften gehen zwar beträchtliche Freiheitsgewinne einher, zugleich werden die Menschen aber aus traditionellen Bindungen gelöst und tradierte, festgefügte Maßstäbe des eigenen Verhaltens lösen sich auf. Damit ist die Demontage kollektiver Identitätsbildungsprozesse und die moralische Neutralisierung bestimmter Handlungen, aber auch die immer größere Bindungslosigkeit der Menschen untereinander verbunden. Durch diese Zerfallsprozesse und eine wachsende Desensibilisierung kann die Gewalt wieder zu einer Option werden. Entgegen den Hoffnungen und Fortschrittserwartungen der Aufklärung zeichnet sich also die Moderne keineswegs durch Gewaltlosigkeit aus. Vielmehr bilden unterschiedliche Formen und ein historisch variables Ausmaß an Gewalt seit jeher die dunkle Seite des in hellem Glanz erstrahlenden Projekts der Aufklärung, sodass in dieser Perspektive die gewaltfreie Moderne zwar ein konstitutiver Bestandteil der Selbstbeschreibung moderner Gesellschaften ist, der sich aber nur schwer mit der Realität deckt.Die zentrale Frage, um die es in der Debatte über das angemessene Verständnis der Zusammenhänge von Zivilisation und Gewalt letztlich geht, ist die, ob Gewalt im Lauf der Geschichte zu- oder abgenommen hat, ob sie sich durch Charakterbildung abschaffen oder lediglich mit staatlichen Zwangsmitteln zurückdrängen lässt und zu delegitimieren ist.Soziale Konflikte als universelle PhänomeneFür eine genauere Untersuchung dieser Frage ist es notwendig, die Begriffe Konflikt, Krieg und Gewalt zunächst einmal auseinander zu halten und Konflikte aus dem automatischen Verständniskontext von Krieg und Gewalt zu lösen. Konflikte können mit Kriegen und Gewalt keineswegs unmittelbar gleichgesetzt werden. Dass wir bei Konflikten häufig an Gewalt und Krieg denken, mag an unserer Wahrnehmung liegen: Durch Medienberichte und -inszenierungen haben wir Kriege und andere Gewalt als den dominanten Konflikttypus im Bewusstsein. Im Alltag herrscht denn auch in der Regel ein Konfliktverständnis vor, nach dem Konflikte generell als Bedrohung für die menschliche Harmonie und gesellschaftliche Ordnung aufgefasst werden, die letztlich ob ihrer Auswirkungen dysfunktional sind. Bei solch einem Alltagsverständnis von Konflikt gilt dieser an sich als schlecht, schädlich und wenig produktiv, weil er keine normalen sozialen Beziehungen zulässt und gewalttätige Konsequenzen hat.In einem solchen Konfliktverständnis wird jedoch übersehen, dass der Konflikt in einer Mangelwelt integraler Bestandteil jedweden menschlichen Handelns ist. Menschen sind nicht nur ständig gezwungen, ihr Überleben im Allgemeinen zu sichern und ihren Platz in der Gemeinschaft im Besonderen zu behaupten, sondern natürlicherweise verfügen Menschen auch über unterschiedliche Zielvorstellungen und unterschiedliche Interpretationen darüber, wie ihr Überleben und Zusammenleben generell zu sichern und zu gestalten sei und welche Mittel und Wege dabei zu verfolgen sind. Damit scheinen Konflikte zunächst einmal zu den anthropologischen Grundtatsachen des menschlichen Zusammenlebens zu gehören: Sie sind universell.Werden Konflikte auf neutrale Weise bestimmt, dann kommen zwei wichtige Dinge zum Vorschein: Zum einen die positiven Funktionen für die Gesellschaft und zum anderen die Tatsache, dass die weitaus meisten Konflikte mit friedlichen Mitteln beigelegt oder geregelt werden. Konflikte können auch integrative Funktionen für die Gesellschaft haben und den sozialen Wandel und die Entwicklung fördern. In diesem Sinn sind sie ja nicht nur ein Indikator für bestimmte Defizite von gesellschaftlichen Ordnungssystemen, sondern vermögen durch das Auslösen von Streit konstruktiv zur Problemfindung und Zielerreichung beizutragen.Konflikte sollten also nur hinsichtlich ihrer Austragungsformen bewertet werden. Denn nur die Austragungsformen von Konflikten können ja positiv oder negativ, friedensfördernd oder -gefährdend, konstruktiv oder destruktiv sein, weil in ihnen unterschiedliche Arten und Typen von Gewalt zum Vorschein kommen. Im zwischenmenschlichen Bereich werden Konflikte dann problematisch, wenn sie über den friedlichen Streit oder den argumentativen Dissens hinausgehen und sie zur Anwendung direkter physischer oder psychischer Gewalt führen. Auf der gesellschaftlichen Ebene werden Konflikte vor allem dann als negativ und bedrohlich wahrgenommen, wenn sie nicht über das Rechtssystem geregelt oder verwaltet werden können, sondern die große Bandbreite von Gewaltformen zum Tragen kommt.Friedlich oder gewaltsam?Ob Konflikte entsprechend als Klebstoff oder als Lösemittel von Gesellschaften fungieren, hängt ganz wesentlich vom Grad und dem Ausmaß der zum Vorschein kommenden direkten oder strukturellen Gewalt ab. Je höher im Konfliktaustrag oder in den Konfliktfolgen der Intensitätsgrad an direkter Gewalt ist, desto problematischer erscheint mithin der Konflikt selbst.Wie gewaltintensiv Konflikte ausgetragen werden, hängt von drei bestimmenden Faktoren ab:(1) von den jeweiligen Bedingungen und Voraussetzungen für eine friedliche, produktive Konflikttransformation;(2) vom Konfliktgegenstand sowie von der Struktur des Konflikts;(3) von der Art der Beziehung der Konfliktparteien untereinander.Der Konfliktgegenstand lässt sich sowohl hinsichtlich knapper Güter als auch Normierungen abstrakt erschließen. Häufig ist die Art und Weise der Verteilung knapper Güter in einer Gesellschaft und zwischen Gesellschaften allgemeiner Gegenstand von Konflikten. Dann geht es im Konflikt um die Neuverteilung von Geld, Macht, Herrschaft und Status. Daneben können aber auch bestehende soziale Normierungen Gegenstand von Konflikten sein. Dabei haben sich entweder einzelne Werte oder Wertvorstellungen herausgebildet, die inhaltlich strittig geworden sind und durch neue ersetzt werden sollen. Außerdem können auch größere Normierungsversuche, die einzelne Regeln des Zusammenlebens oder Regelsysteme von Organisationen oder Gesellschaften verändern, Gegenstand des Konflikts sein. In diesen Zusammenhang gehören auch Konflikte um Weltanschauungen. Solche Macht- und Herrschafts- sowie Werte- und Regelkonflikte werden entscheidend durch die Struktur des Konfliktgegenstands geprägt. So ist es beispielsweise wichtig, ob es sich bei einem Konflikt um Nullsummenspiel- oder Nichtnullsummenspielsituationen handelt und ob vom Konflikttyp her ein teilbarer oder unteilbarer Konflikt vorliegt. Dabei sind jeweils viele Abstufungen denkbar.Symmetrische und asymmetrische KonflikteFür jeden Konflikt und seine Austragungsformen ist auch das Verhältnis der Konfliktparteien zueinander von Bedeutung, sodass der Konflikt entweder von zwei mehr oder weniger gleich starken oder gleichberechtigten Parteien ausgetragen wird oder eine Partei über eine günstigere Ausgangsposition verfügt, um ihre Interessen durchzusetzen und damit den Konfliktausgang zu ihren Gunsten zu entscheiden. Die weitaus meisten Konflikte sind asymmetrisch, weil Menschen in Gesellschaften leben, die durch Herrschaftsstrukturen und soziale Ungleichheiten geprägt sind. Entsprechend verfügen die einzelnen Konfliktparteien über unterschiedliche Ressourcen, Mittel, Ausgangsbedingungen, um einen Konflikt zu ihren Gunsten zu entscheiden. Symmetrische Konflikte im Sinne einer Gleichrangigkeit und gleichen Stärke der Konfliktparteien sind dagegen selten.Meist kann die stärkere Partei der anderen ihren Willen bezüglich der Konfliktaustragungsform aufzwingen und zum guten Teil auch einen für sie positiven Konfliktausgang herbeiführen. Daraus darf aber nicht ohne weiteres geschlussfolgert werden, ein symmetrischer Konflikt sei notwendigerweise friedensfördernder, ein asymmetrischer Konflikt dagegen destruktiver. Auch ein Konflikt zwischen zwei gleich starken Parteien kann zur gegenseitigen Vernichtung führen. Und umgekehrt muss ein asymmetrischer Konflikt nicht unbedingt mit Gewalt ausgefochten werden, bieten sich doch hier für die beteiligten Parteien unterschiedliche Formen der Konfliktaustragung an. Dennoch zeigt sich in der Realität immer wieder, dass die stärkere Partei in einem asymmetrischen Konflikt direkte und strukturelle Gewalt sowohl während des Konfliktaustrags als auch im Konfliktergebnis gegen die schwächere Partei zur Anwendung bringt.Gewaltarten in KombinationIn sozialen Konflikten können nun einzelne oder in unterschiedlichem Umfang verschiedene Kombinationen der erwähnten Gewaltarten auftreten. Die Bedeutung dieser Gewaltarten in sozialen Konflikten lässt sich anhand einiger Beispiele schnell verdeutlichen.Unmittelbar einsichtig scheint zu sein, dass es in den diversen Gewaltkonflikten immer — oder zumindest teilweise — um den Einsatz direkter, physischer Gewalt geht. Von Raufereien und Schlägereien angefangen bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzungen scheint der Einsatz direkter physischer Gewalt ein probates Mittel zu sein, um Konflikte auszutragen.Strukturelle Gewalt wäre dagegen eher in latenten Konflikten anzutreffen, also vor dem offenen Ausbrechen eines Konflikts. Sie würde sich damit etwa in der institutionellen Unterdrückung, in der Vorenthaltung von Bürgerrechten oder aber in der Missachtung der Würde und der Entfaltungsmöglichkeiten von Minderheiten niederschlagen. Sie kann sich aber auch als Folge eines ausgetragenen Konflikts ergeben und sich als solche verfestigen und für neue Ungerechtigkeiten sorgen. Bezieht sich damit die direkte physische Gewalt auf manifeste Konfliktsituationen, so die strukturelle auf eher latente Konflikte. Die kulturelle Gewalt dagegen bildet die Begleitmusik sowohl für die strukturelle wie auch für die direkte physische Gewalt; sie käme variabel zu beiden Gewaltarten hinzu.Wenn also die ganz überwiegende Anzahl von Konflikten gewaltfrei ausgetragen wird, so resultiert die besondere Bedeutung gewaltsamer Konflikte gerade daraus, dass ein Konflikt mit dem Einsatz von Gewalt eine neue Dimension bekommt. Im Gegensatz zum argumentativen Dissens, wo bestenfalls die Macht der Worte entscheidet, und zum rechtlichen Streit, wo schließlich Wahrheit und Gerechtigkeit konfliktschlichtend oder -lösend wirken, geht es bei der gewaltsamen Austragung von Konflikten vor allem um die Kampfstärke der Konfliktparteien, die Verletzbarkeit des Gegners oder die Ausschaltung des Anderen, was angesichts unserer humanistischen Ideale nur noch unter ganz bestimmten Bedingungen überhaupt zu rechtfertigen ist.Insbesondere die gewaltsamen Großkonflikte schockieren ob des massenhaften Schreckens, den sie verbreiten, durch das Ausmaß an Tod und Zerstörung, das sie bringen, durch die Einbeziehung von Unschuldigen, die immer häufiger Opfer von solchen Konflikten werden, sowie durch die mit technischen Mitteln immens gesteigerte Wirkung von Waffen und damit nicht zuletzt auch den Folgen der Gewaltanwendung. Kriege gelten dementsprechend völlig zu Recht als die schlimmsten Formen der Gewaltanwendung.Dr. Peter ImbuschWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:Krieg: Eine besondere KonfliktformGrundlegende Informationen finden Sie unter:Konfliktforschung: Nationalismus, Fundamentalismus, MultikulturalitätBerger, Peter L./Luckmann, Thomas: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. Aus dem Amerikanischen. Taschenbuchausgabe Frankfurt am Main 1998.Oberndörfer, Dieter: Die offene Republik. Zur Zukunft Deutschlands und Europas. Freiburg im Breisgau u. a. 1991.Sloterdijk, Peter: Kopernikanische Mobilmachung und ptolemäische Abrüstung. Ästhetischer Versuch. Frankfurt am Main 31994.Waldenfels, Bernhard: Der Stachel des Fremden. Frankfurt am Main 21991.Waldenfels, Bernhard: Studien zur Phänomenologie des Fremden, Band 1: Topographie des Fremden. Frankfurt am Main 1997.Wer inszeniert das Leben? Modelle zukünftiger Vergesellschaftung, herausgegeben von Frithjof Hager u. a. Frankfurt am Main 1996.
Universal-Lexikon. 2012.